Bieler Lauftage 2015
In der Woche davor schon hatte ich Freitag und Samstag frei. Wir fuhren diesmal schon am Sonntag vor den Bieler
Lauftagen nach Erlach am Bieler See. Es gibt einige angenehme, schöne, weniger schöne
Geschichten und auch kleine Anekdoten zu berichten.
Von den Erlebnisse und Stadtbesichtigungen in unserem Urlaub werde ich noch später berichten.
Am Freitag war es dann so weit. Wunderbar gut ausgeruht wie noch nie vor dem 100 Km
Lauf in Biel fühlte ich mich. Verdammt ruhig war ich.
Viel zu ruhig.
Was war nur los?
Wann kommt die Aufregung, die Anspannung?
Ich hatte die Wochen davor viel trainiert und rechtzeitig–endlich mal–zurückgesteckt
und weniger Trainingskilometer absolviert.
Aber was war los? Ich lag noch etwas im Bett, träumte, schwitzte und raffte mich endlich
auf, um meine Sachen für den Lauf zu packen und mich umzuziehen. Alles war doch gut.
Oder?
Endlich fuhren wir los und parkten vor der Standseilbahn, die zum Maggligen hochführt.
Auch in diesem Jahr waren wir dort oben nicht wandern.
Schnell die Startunterlagen geholt und dann zu unserem Bekannten Silvio. Es war angenehm,
wie immer, mit ihm zu plaudern. Noch einige Minuten, bis wir dann am Start und Ziel
Joachim treffen würden. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, es wären viel weniger
Starter für die 100 Km und vor allem deutsche Starter zu sehen. Insgesamt sollen es
wohl 4.100 Teilnehmer bei allen Veranstaltungen gewesen sein. Das kann man ja hier nachlesen:
Bieler Lauftage.
Nun, Joachim winkte mir zu.
Dagmar war noch irgendwo unterwegs auf der Suche nach ihm.
Bald dann der Fototermin mit Dagmar, Joachim, Charly und mir. Bekannte Gesichter sah ich zwar aber
nicht die Gesichter, zu denen ich Namen und angenehme Geschichten abgespeichert hatte.
Es plauderte sich aber angenehm mit Joachim, und Dagmar musste bald los. Sie fuhr zurück
nach Erlach. Wir hatten uns am Samstag früh in Büren verabredet. In der Nacht, an der
ersten langen Steigung, sah ich die Nachricht auf dem Handy. Sie sei sicher angekommen
und trinke noch am See einen Rosè.
Auch gut.
Bald startete die erste Laufveranstaltung.
Die Zeit flog dahin und wir stellten uns für den 100 Km–Lauf auf und schon wurde gestartet.
Meine notwendige Anspannung war immer noch irgendwo in den Schweizer Bergen unterwegs.
Gerade hatte ich mit Georg in fünf Tagen auf dem Rheinsteig 336 Km mit 10.600 Höhenmetern
absolviert. Dieses Läufchen hier in Biel wird mich nicht schwächen.
Oder?
Joachim und ich wollten jeder für sich laufen. Das war mir recht. Ich wollte in dieser
Nacht allein sein.
Warum weiß ich nicht. Ich hatte keine großen Aufgaben zum Nachdenken. Kann sein, dass
ich bei meiner 11. Teilnahme einfach alles „rein” genießen wollte.
Oder?
Nicht das ich etwas dagegen gehabt hätte, mich in Gespräche verwickeln zu lassen. Aber
es boten sich unterwegs, im Gegensatz zu sonst, mit wenigen Ausnahmen, auch keine
Gesprächspartner an.
Recht so.
Da war ich also in Biel und lief. Viele Läufer um mich herum machten das auch. Manche
gingen schnell mit Walkingstöcken oder ohne.
Egal. Die Nacht war mondlos und dunkel. In der Stadt war nicht viel los. Das kannte ich
schon anders. Nur an besonderen Punkten mal etwas Stimmung. Ein paar Anfeuerungsruhe.
Einige „Hopp, Hopp” oder „Hundert Kilometer” in Schweizerdeutsch und immer wieder mit
Kinderstimmen wiederholt.
Gut.
Ich genoss das alles.
Dann bei Nidau. Den Berg hoch. Port. Der See in der Nacht. Lichter am See. Anders als
sonst. Aber hier gab es mehr Anfeuerungsrufe und engagierte Zuschauer.
Ja, gleich geht es nach Jens herunter. Ich gab richtig Gas und fühlte mich extrem stark.
Gut, meine innere Stimme schwafelte etwas von: „Klasse heute. Vielleicht unter 13 Stunden?
Vielleicht mal wieder 12:43 h?” Ich wehrte mich nicht wirklich gegen diese Stimme. Die
Stimme, die Worte waren so angenehm.
Es lief, ich lief einfach fantastisch leicht durch die Nacht. „Time to fly”, steht auf
dem Pappkarton meiner Laufschuhe.
Ja. Zeit zum fliegen.
Machte ich doch. Zugegeben, warm war mir. Zu warm. Aber ich hatte ja alles im Griff.
Irgendwo überholte ich Joachim. „Wenn das mal gut geht”, dachte ich. Aber was soll es?
Der Einbruch, dieses bekannte „Langsamer geht fast nicht mehr”, würde ja so oder so
kommen. Das wusste ich. Also warum absichtlich langsam machen?
Ich lief und wusste, gleich würden die ersten Marathon - Spitzenläufer mit ihren Radbegleitungen
hinter mir her hetzen und mich überholen. Und ich hörte kurz darauf die Rufe der
Radbegleitung, die auf die Spitzenläufer hinwiesen. Ich lief auf der linken Seite.
Die Nacht war dunkel.
Nur ab und an sah ich Sterne. Den Mond nie. Trotzdem brauchte ich meine Stirnlampe nur wenig und die Reservelampe gar nicht.
In Aarberg fehlte der rote Teppich. Die Stimmung war toll und ich schon um Zwölf dort.
Die Uhr schlug.
Das hatte ich noch nie. Der innere Schweinehund rief mir zu: „Klasse. Weiter so. Diesmal wird es wieder eine besonders gute Zeit."
Der Lügner der!
Egal, ich schwitzte extrem. Ja, ich hatte wieder meine 0,5 Literflasche dabei und trank
diese unterwegs leer, füllte sie wieder an den Versorgungsständen auf und trank auch an
den Ständen, was ich vertragen konnte. Trotzdem wohl doch zu wenig?
Ich schwitzte. Mir war es zu warm. Lag das eventuell an dem Rucksack? Laufgürtel und
Rucksack. Gut, dass wollte ich so, weil ich mit einem Gewitter gerechnet hatte, was
es zu unserem großen Glück nicht gab.
Mann war mir warm. Ich trank. Lyss. Klasse, ich kenne die Strecke inzwischen gut.
Ausreichende Versorgung, ja sehr gute Versorgung an der Strecke, muss ich schon sagen. Plötzlich war mir schlecht. Ich lief noch rund. Aber langsam. Der „Innere” riet mir zu versuchen, doch nach 4:20 h die 38 Km in Oberramsen, im Marathonzeil, fertig zu haben. Also los!
Gib Gas.
Mann war mir warm. Ich trank und füllte die Flasche an den Versorgungsstationen auf.
Unterwegs hörte ich ein Saxofon. Auch gut. Es wurde wieder mehr gefeiert in den Dörfern,
durch die wir liefen. Einige Jugendliche, die ziemlich angetrunken waren und uns anfeuerten,
sind mir aufgefallen, wie auch jener Läufer, der sich mit einem anderen Läufer über seine
Teilnahmen in Biel unterhielt. Er trug ein Trikot mit einer Aufschrift, dass es seine 30. Teilnahme hier wäre. Toll!
Mein Knie.
Mein Rücken verhielt sich großartig. Ich hatte ein paar Wochen vor dem Lauf Rückenschmerzen,
die aber durch die relative Ruhe vor dem Bieler Lauf abgeklungen waren. Aber das Knie. Ich lief
jetzt auf der rechten Straßenseite. Es war wohl etwa nach 25 Kilometern. Irgendwie wurde ich langsamer.
Das mit dem Knie kannte ich ja. Nichts Aufregendes. Nach etwa 6 ..7 Km hatte sich das gelegt. Auch
so der Magen. Ich aß vorsichtshalber nicht.
Irgendwie kam ich dann in Oberramsern an. Etwa nach 4:40 h. Nichts mit 4:15h. Gut, wie in den Jahren
davor. Nichts Schlimmes. Nur langsamer als gedacht. Mir ging es gut, aber ich hatte viel Zeit verloren.
Und ich trank. Mir lief der Schweiß aus allen Poren. Und weiter gelaufen. Ich wurde langsamer.
Diesmal lief ich die kleine Senke nach Oberramsern herunter. Normalerweise gehe ich hier immer einige
hundert Meter, bevor ich wieder laufe.
Dann das Schild mit der super tollen 50 Km darauf. Na und? Weiß doch jeder, dass es nicht die Hälfte
ist von den 100 Km in Biel! Läufer standen davor und Radbegleiter und fotografierten sich.
Zum Glück hat es an der Stecke einige Toiletten.
Kein Problem. In Kirchberg werde ich auch in diesem Jahr nicht aussteigen. Das wusste ich schon vor dem
Start. Nun, es kann ja immer was passieren.
Aber in dieser Nacht nicht!
Ich hörte ein paar Frösche in der Nacht quaken und sah Kirschbäume mit Früchten, hübsche Radbegleiterinnen
und Läufer, die hatten gleich zwei Radbegleiter. Einer kam aus Berlin. Ich unterhielt mich mit einer
netten kleinen Schweizerin über den Regen. Sie wollte ihn nicht und ich war wegen der paar Tropfen schon
zufrieden. Mir war immer noch warm. Die Nacht kühlte einfach nicht aus. Und ich hatte Probleme so schnell
zu laufen wie sonst und dachte, dass es schon wieder werden würde.
Eine Katze im Wald.
Die hätte ich fast umgerannt. Die stand direkt auf meinem Laufweg. Im Letzten Moment wich ich aus.
Auf dem Emmendamm nichts Besonderes. Dèsirèe überholte mich. Ihr Mann lief hinter ihr. Der hatte Probleme
wegen eines Sturzes mit dem Rad Tage vorher.
Noch eine Toilette bei Utzendorf am Versorgungsstand.
Langsam laufen. Runter kühlen. Trinken. Och? Ach mein Magen. „Wie geht es denn?” Ihm ging es plötzlich
wieder gut. Ich fütterte ihn mit leckeren Bananen und Energieriegeln. Bisher hatte er nur etwas
Orange und ein Gel bekommen. Er schien sich zu bedanken und zickte nicht mehr herum und ich lief.
Langsam.
Aber ich lief.
Langsam.
Und ich dachte an die Schildkröte im Garten unserer Vermieterin in Erlach, Tage davor. Die hatte es auf
meine Laufschuhe abgesehen. Sie suchte sich einen Schuh aus und lief flink auf ihn zu,
versteckte ihren Kopf unterm Panzer und knuffte ihren Panzer an meinen Schuh. Nichts tat mir
weh. Es war nur irgendwie albern. Und ich ging etwas von ihr weg und sie kam mir hinterher und
knuffte mit ihrem Panzer meinen Schuh.
Gut die hätte mich jetzt eingeholt und hätte mich nach vorne „peitschen” können, wäre sie hier.
Sie war aber nicht hier.
Langsam laufen.
Inzwischen hatte ich dem „Inneren Schweinehund” eine auf`s Maul gegeben und der hielt endlich die
Klappe mit seinen Zeitvorschlägen für die Endzeit. Es war mir egal. Irgendwie würde ich so um
die dreizehn Stunden brauchen. Hauptsache gesund ins Ziel kommen. War nicht ganz meine Nacht.
Aber auch nicht schlecht! Alles im grünen Bereich oder nur leicht orange.
Joachim holte mich ein. Etwa bei Km 70 vor Lüterkofen. Auch gut. Wir unterhielten uns kurz.
Nachdem wir uns gegenseitig einige Male überholt hatten, trieb ich ihn dann die letzten ca. 20
Km, also etwa bei Arch, nur noch vor mir her. Er lief unter dreizehn Stunden ins Ziel. Toll!
Wirklich klasse. Und ich? Ich hatte noch etwas zu kämpfen. War unleidlich mit mir und hatte
doch keinen Grund. Ich lief ja noch. Ich sah Läufer, die mussten aussteigen. Mit Verband am
Bein und hinkend, noch langsamer oder auf einer Bank sitzend und ich lief an ihnen vorbei. Und
ich wurde nur selten überholt.
Dann hatte ich keine Probleme mehr. Mir war nur warm. Ich gab Dagmar in Büren meinen Laufrucksack,
kühlte meine Arme in einem Wassertrog, sprach kurz mit Gerd Eden, den ich vom Stunt100 kannte und
lief langsam weiter. Alles war gut. Nur anstrengend eben.
Kilometer auf der Fahrstraße am Kanal vorbei.
Unendliche Weiten der Schweiz.
Ist doch ein kleines Land und hat so lange Straßen und die langen, letzten 6 Kilometer vom 100 Km
Lauf in Biel. Die Sonne und ich und die anderen Läufer.
Die anderen und ich.
Der Kanal ja auch.
Endlich Km 95. Und immer wieder die Daumen hoch und ich konnte es nicht mehr hören
bzw. sehen. Diese Daumen und dieses: „Herzlichen Glückwunsch” und wusste doch, ja,
die netten Menschen hier in Biel haben Recht und zollen Anerkennung dafür, dass ich
es, wie die vielen anderen auch, gleich geschafft hatte. Trotzdem, was war denn los?
Meine 11 Teilnahme und bei einer Zeit von 13:11:00 h wenn das nichts ist?
Gut. Ich könnte schon zufriedener sein. Aber war ich es denn nicht wirklich auch?
Klar!
Ich war sehr zufrieden damit. Auch wenn ich diesmal keinen richtigen Zugriff zum Lauf
bekommen hatte. Der Urlaub war einfach auch klasse.
Und in 2016?
Kann man nicht Biel machen und anschließend den Mozart?
Wer weiß, ob und was 2016 klappt?
// © Jörg Segger/ 16.06.2015//
|